Gast im Weltraum by Stanislaw Lem

Gast im Weltraum by Stanislaw Lem

Autor:Stanislaw Lem
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Verl. Volk u. Welt
veröffentlicht: 1956-04-26T22:00:00+00:00


Anna aus den Sternen

Im zweiten Jahr unserer Reise gab es praktisch keine Verbindung mehr mit der Erde, da die Funkberichte mit allzugroßer Verspätung eintrafen. Unsere Gruppe, ein winziger Splitter der Menschheit, war nun ganz auf sich selbst angewiesen, eingeschlossen in die metallene Hülle, die durch das eisige Dunkel raste. Das Leben lief in den gewohnten Bahnen weiter. In den Laboratorien wurde gearbeitet, bei den gemeinsamen Besprechungen der verschiedenen Kollektive wurden die Forschungsergebnisse ausgetauscht, Mädchen und Jungen beendeten ihre Studien, Kinder kamen zur Welt.

Den Neugeborenen widmete ich viel Aufmerksamkeit. Wenn die Mütter mit den Kleinen ins Ambulatorium kamen, dann erkundigte ich mich nach allen Einzelheiten, und ich muß gestehen, daß ich mich dabei nicht nur vom ärztlichen Interesse leiten ließ, sondern auch von dem unbestimmten, unklaren Verdacht, daß die unmittelbare Nachbarschaft des ewigen Dunkels und der Sterne, vor denen wir uns durch dicke Panzer zu schützen suchten, einen unbekannten Einfluß auf die Entwicklung dieser kleinen menschlichen Wesen ausübte. Deshalb assistierte ich auch, nicht frei von Mißtrauen, beim Trockenlegen der rosigen, quäkenden Säuglinge, als erwarte ich, ein Merkmal zu entdecken, das von den „Sternen“ herrührte. Diese Erwartungen, über deren Grundlosigkeit, ja Lächerlichkeit ich mir im klaren war, erfüllten sich natürlich nicht. Alle Kinder waren ganz normal, gesund und munter. Die ersten krabbelten bereits auf den Rasenflächen unseres Parks umher, und das Schreien, das unerwartet aus einer Wohnung drang, wenn man durch den Korridor ging, machte die metallenen Wände, die verzweigten Gänge und Schächte der Gea eigenartig heimisch, als wäre der warme Hauch der eigenen Kindheit in unser Raumschiff zu Gast gekommen.

Ich betreute die Kinder meistens allein; denn von uns drei Ärzten war Schrey Chirurg, und Anna zeigte eine versteckte Abneigung gegen die Kinder, die ich mir nicht erklären konnte, da sie sich zu Beginn unseres Weltraumfluges lebhaft für das Geschick der Neugeborenen interessiert hatte.

Scheinbar hatte das Leben an Bord der Gea sein äußeres und inneres Gleichgewicht wiedererlangt. Trotzdem hätte ein aufmerksamer Beobachter die Veränderungen in uns allen bemerkt, die vor allem deshalb bedeutsam waren, weil sie im Unterbewußtsein jedes einzelnen vor sich gingen.

Wir hatten uns besonders vor dem wachsenden Schweigen gefürchtet. War diese Befürchtung eingetroffen? Eigentlich nicht. Wir kamen gern und oft zusammen. Gesellschaftliche Zusammenkünfte fanden ebenso häufig wie wissenschaftliche statt, die Sportgruppen waren sehr rege – aber alle diese Zerstreuungen und Unterhaltungen waren ziemlich sonderbar. Wir sprachen viel über alltägliche, nichtige Dinge, über Konzerte, die wir gehört, und über Bücher, die wir gelesen hatten. Niemand erwähnte die Erde, sie tauchte in keinem Gespräch auf. Es schien beinahe, als hätten wir sie vergessen. Ebensowenig erwähnten wir die liebsten und nächsten Menschen, die wir auf ihr zurückgelassen hatten, ja nicht einmal die Reise selbst.

Über unseren Flug diskutierten lediglich die Spezialisten. Sie entdeckten eine ganze Reihe neuer Tatsachen, zum Beispiel, daß im Innern der Gea, als sie die volle Geschwindigkeit erreicht hatte, die Temperatur allmählich, wenn auch unbedeutend, anstieg. Die Ingenieure suchten eifrig die Ursache für diese Erscheinung zu ergründen, die gerade deshalb so sonderbar war, weil die Triebwerke des Schiffes nicht mehr arbeiteten.



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